Der Saathandel in Bardowick - eine lange Tradition

Es war einmal...

Vor 450 Jahren, also Anfang des 16. Jahrhunderts, fingen die Bardowicker an mit Saatgut zu handeln. Es ist wirklich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Quedlinburger Samenzüchter das Jahr 1788 als ihr Gründungsjahr nennen (Carl Sperling & Co.) und dass Gregor Mendel von 1822 bis 1884 lebte und dass seine Vererbungsgesetze, gefunden durch Pflanzenkreuzungen, erst danach eine systematische Zuchtarbeit möglich machten.
In den letzten 450 Jahren stand besonders prägend der Samenhandel und auch die Züchtung von Gemüsesamen im Mittelpunkt vieler Bardowicker Familien. Dieser wichtige Erwerbszweig ist in den letzten dreißig Jahren sehr rückläufig, deutet alles darauf hin, dass eine Renaissance nicht zu erwarten ist. Heute leben nur noch wenige der „Alten", die von ihren eigenen Erlebnissen auf den Saatreisen und von denen ihrer Saathändler-Kollegen berichten können.
Früher war es üblich, dass man jedes Jahr zwei Mal für längere Zeit Haus und Hof verlassen musste, um zu Fuß in einem Radius von mehr als hundert Kilometer von Bardowick entfernt Saatgut zu verkaufen oder gleich auszuliefern oder später zu liefern mit gleichzeitigem Inkasso, oder bei der Neubestellung um das Geld zu bitten, denn die bäuerliche Kundschaft musste erst den Ertrag ihrer eigenen Ernten im Beutel haben. Die anerkannt gute Qualität des Saatgutes aus Bardowick erleichterte den Saatreisenden die Mühe und Arbeit ihrer Geschäfte sehr. Es betraf die Keimfähigkeit, die Reinheit, die Sortenechtheit ihres Saatgutes und auch die Vielfalt ihres Angebots.
Die Bardowicker erzeugten ihr Saatgut selbst. Verwendeten es auch bei Ihrem eigenen Gemüseanbau und waren dadurch beliebte und kompetente Gesprächspartner für alle bäuerlichen Probleme, da sie ja weit herum kamen.

Vor dem ersten Weltkrieg

Bis zum Ersten Weltkrieg hat sich das Saatreisen hauptsächlich zu Fuß mit der Kiepe abgespielt. Erst danach kam der Pferdewagen und die Bahn hinzu und später auch der Postversand. Wer auf seinem Hof den Gemüseanbau betrieb und auch selbst vermarktete und wer außerdem eine gute Saatreise hatte, der konnte sich nach dem Zweiten Weltkrieg rasch ein Auto leisten, natürlich mit einem Dieselmotor.

Kurz nach dem zweiten Weltkrieg...

In den dreißiger Jahren und kurz nach dem 2. Weltkrieg zählten ca. 70.000 landwirtschaftliche Betriebe und dörfliche Interessenten zu den Bardowicker Saatkunden. Ein einzelner Bardowicker Samenhändler verkaufte pro Jahr etwa folgende Mengen: 50-100 kg Bohnensaat, 100 kg Erbsensaat, 25 kg Wurzelsaat (Möhren), 100-500 kg Spinatsaat, 200-500 kg Runkelrübensaat (Normalsaat).
Nach dem 2. Weltkrieg brachte das BRD Saatgutverkehrsgesetz (1953) klare Reglementierungen. Neuzüchtungen, die Erhaltungszuchtarbeit und auch die Saatgutvermehrungen wurden streng überprüft und es wurden sogenannte Zuchtrechte vergeben.
Die Einhaltung der gesetzlich geforderten Feldabstände bei fremdbefruchteten Arten brachte die Bardowicker in große Schwierigkeiten. Die großflächigeren Regionen und auch die Auslandsvermehrungen waren im Vorteil. Für den eigenen Bedarf wurde weiter züchterisch gearbeitet, doch der Anteil zugekaufter Saatpartien vergrößerte sich.
Eigentlich setzte für die Bardowicker Samenzüchter schon im Jahre 1934 eine schwierige Entwicklung ein. Am 26.03.34 erließ der „Reichsbauernführer“ eine „Verordnung über Saatgut“ mit Grundregeln über die Anerkennung von Gemüsesaaten. Zwischen den Züchtern und Samenhändlern wurden sogenannte Anbaulieferungsverträge abgeschlossen.
Die Grundlage war eine vom Reichsnährstand vorgegebene Preisbasis, die sehr viel „Ordnung“ schaffte und die ausreichende Versorgung der Deutschen mit hochwertigem Gemüsesaatgut zum Ziel hatte. Blumensamen wurden von dieser Verordnung nicht erfasst. Die größte Bedeutung hatte die Verordnung für die Versorgung mit landwirtschaftlichem Saatgut, in Deutschland und in besetzten Gebieten bis 1945.

Die besondere Idee...

Wer die Idee hatte, als erster vor ca. 450 Jahren auf Saatreise zu gehen, das wird wohl niemals eindeutig zu ergründen sein. Es wird mit Sicherheit auch nicht die Idee eines Einzelnen gewesen sein. Eine Marktlücke zu finden und dann Umsatz zu machen, eine Nachfrage zu beeinflussen und dann Dauerlieferant zu werden, damit quälen sich auch heute die besten Köpfe in den oberen Etagen unserer Marktwirtschaft. Die Idee werden vor 450 Jahren in Bardowick mehrere rückschauende Väter haben, wie es beim Erfolg so ist.

Weitere Standorte des Samenhandels...

Es gibt in Deutschland wenigstens noch drei weitere Dörfer oder Flecken, die in ähnlicher Form wie die Bardowicker den Samenhandel betrieben haben oder ihn heute noch betreiben. Es sind unter anderem Gönningen bei Reutlingen, Kirchaich beim Bamberg, Altenkirchen im Westerwald, doch alle Ortschaften hatten unterschiedliche Reise- und Versandpraktiken.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Samenhändler...

Der Unterschied zu den Bardowickern besteht insbesondere darin, dass sie selbst züchteten und Samen produzierten und damit bei erheblichen Anteilen ihres Samenbedarfs unabhängig waren, insbesondere bei Gemüsesamen und Futterpflanzensamen, nicht so sehr beim Blumensamen, wo sie auf stärkeren Zukauf angewiesen sind.
Die engen Beziehungen des Bardowicker Samenhändlers zu seinen Kunden, die Erfahrungen aus vielen, vielen Gesprächen jedes Jahr wieder und nicht zuletzt wohl auch die Erfolge in der Reisetätigkeit haben die Bardowicker Familien geformt. Sie hatten einfach einen größeren Überblick und diese Kenntnisse und Erfahrungen wirkten in den Familien weiter und beeinflussten auch den Umgang der Bardowicker Familien untereinander.
Bardowick hat eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen sogenannten Samenhändler-Dörfern. Es ist bekannt, dass die Züchtung und Produktion von sogenannten Großmengen von Gemüse-/Blumen- und Futterpflanzensaatgut hauptsächlich von den großen Zuchtbetrieben in den östlichen Städten wie Quedlinburg, Erfurt, Eisleben und anderen, aber auch im Ausland durchgeführt wird. Dass ein kleiner Saatenhändler auch züchtet und selbst Verkaufssaatgut produziert und das in hervorragender Qualität, diese Besonderheit finden wir in Bardowick bei etwa 100 Samenhändlern und Samenzüchtern bei einer Gesamtbevölkerung von 1000-2000 Einwohner im Flecken.

Eine besondere Bedeutung für Norddeutschland...

Die Verantwortung und Bedeutung für die Versorgung der norddeutschen Bevölkerung mit Gemüsesamen wird deutlich, wenn man weiß, dass für 1 ha Wurzelanbaufläche (Möhren) eine Saatgutmenge von 500-1000 g benötigt wird und bei Runkelrüben etwa 18 kg Normalsaatgut für 1 ha Anbaufläche.
Die genannten Saatgutmengen, die ein Händler im Jahr verkaufte, machen die Bedeutung für die Versorgung im norddeutschen Raum deutlich. Die Bardowicker Samenhändler haben dafür gesorgt, dass neue Sorten angeboten und eingeführt wurden, denn speziell beim Gemüse waren sie gezwungen, durch den eigenen Gemüseanbau für die Märkte in Hamburg, Berlin, Bremen und Hannover konkurrenzfähige Qualitäten zu liefern. Diese Flexibilität in der Auswahl und Einführung neuer Gemüsesorten kam selbstverständlich auch den Saatkunden zugute.
Welche Gemüsesorten von den Bardowickern erhaltungszüchterisch bearbeitet wurden und von welchen Sorten sie Verkaufssaatgut anzogen, ist nicht in allen Einzelheiten festzustellen gewesen. Vermutlich haben die selbstbefruchteten Arbeiten die größere Rolle gespielt, wie Buschbohnen, Erbsen, Pahlbohnen u. ä. Aber erhebliche Mengen Verkaufssaatgut wurden auch bei Fremdbefruchtern wie Wurzeln (Möhren), Petersilienwurzeln, Schnittpetersilie, Sellerie, Porree, Schnittlauch, diversen Küchenkräutern, Steckrüben und Runkelrüben erzeugt. Diese Saatgutvermehrungen setzen großes Fachwissen voraus, ein gutes züchterisches Auge bei der Selektion der Vermehrungsflächen und das Wissen um die Vermeidung von Fremdbefruchtung. Da die anfallenden Saaterntemengen pro Erntejahr sehr unterschiedlich sind, so hat es auch erhebliche Übermengen gegeben, die auch an die Großzüchter, z.B. in Quedlinburg, verkauft wurden.

Die Bardowicker Saat-Geschichte

Die sogenannten Saat-Gestriche, so nennen die Bardowicker ihre Verkaufsgebiete, waren untereinander bekannt und man machte sich kaum Konkurrenz. Diese Saat-Gestriche mit der genauen Kenntnis der Orte und Kunden wurden in ihren Abgrenzungen im Konkurrenzkampf eingehalten und vererbt und auch untereinander verkauft. Ein solcher Kundenschutz ist fast unvorstellbar für die Kenner dieser Branche, welche die Praktiken des Samenhandels der letzten fünfzig Jahre beobachtet haben. Die Bardowicker waren immer schon händlerisch orientiert, ob sie nun Bauern, Gärtner, Samenzüchter, Schiffseigner, Marktbeschicker, Handwerker waren und jeder, der ihnen unter dem Einstandspreis etwas abkaufen wollte, der machte die besondere Erfahrung, unbedient zu bleiben. Die Bardowicker haben einen so guten Ruf und den pflegen sie weiterhin durch Qualität aus eigener Produktion.
Die Bardowicker Saat-Gestriche umfassten etwa 100 Ortschaften und einige auch erheblich mehr. In den Dörfern zählten hauptsächlich die Bauern zu den Bardowicker Kunden, denn diese hatten große Gärten, in denen sie viel eigenes Gemüse für die großen Familien und das Personal selbst anzogen. Es wurden auch die sogenannten landwirtschaftlichen Saaten wie Steckrüben, Runkelrüben und andere Futterpflanzen verkauft. Sicherlich haben die anspruchsvolleren Kunden, wie die Herren Lehrer, Apotheker und Pfarrer des Dorfes zu den Samenkunden gehört.

Gemüsezucht

In Bardowick züchtete man stark die Futtermöhrensorte Rheinische Riesen. Eine äußerst ertragreiche Sorte, die sehr große Möhren erbrachte und vom Vieh gern gefressen wurde (Pferde, Kühe und Schweine). Die Samenträger wuchsen in Bardowick so gut, dass jedes Jahr mehrere Waggons Samenträger (Möhrenrüben) von Quedlinburg nach Bardowick geschafft und hier ausgepflanzt wurden. Die Samenerträge müssen sehr gut in Menge und Qualität gewesen sein, denn die Zusammenarbeit klappte viele Jahrzehnte. Bardowick belieferte also auch Großzüchter in einigen Sorten.
Bei der eigenen Produktion des Futter- oder Runkelrübensamens waren es die Sorten Ovana und Barres, die abwechselnd sortengerecht auf der Geest oder in der Marsch angebaut und die Samen später geerntet wurden.
Die Neuzüchtung von Gemüsesorten wurde nur im kleinen Umfang systematisch betrieben. In alten Katalogen findet man Bardowicker Sorten wie z.B. die Wurzelpetersilie Bardowicker Lange glatte. Diese Bardowicker Sorte besitzt noch heute eine überragende Bedeutung bei der Verwertung der langen glatten Wurzel und des Blattes zum Schnitt, sowohl beim Erwerbsanbau als auch im Hobbygarten. Sie ist noch heute eingetragen in die sogenannte EG oder EU Sortenliste und wird weiterhin erhaltungszüchterisch bearbeitet.
Ebenso gab es Bardowicker Möhren-Sorten oder Selektionen mit den Sorteneigenschaften halblang im Typ Nantaise und auch lange Sorten (Lange rote Stumpfe ohne Herz).

Der Samenhandel im ständigen Wandel

Für den Bardowicker Samenhandel sind die Fragen nach den Gemüsearten, Sorten und den Saatmengen nicht sehr exakt zu beantworten. Die Mengen schwankten die letzten 50 Jahre sehr. Bei den Gemüsearten ging im dörflichen und auch im städtischen Bereich der Trend im Garten zu feinerem Gemüse. Die Steckrübe und der grobe Kopfkohl wurden vom feinen Kopfsalat, von Gurken, Buschbohnen, Suppenkräutern und ähnlichem verdrängt. Die Sorten wechseln schneller und die Ansprüche nach guten neuen Züchtungen wachsen entsprechend.
Bei den Futtersaaten war der Wandel noch stärker, z.B. ging das Geschäft mit der Eigenproduktion von Runkelrübensamen fast völlig verloren. Hierbei spielten Zuchtrechte, geänderte Saatgutformen und die Einführung der Saatgutpille eine entscheidende Rolle. Die angeschafften Reinigungsmaschinen verstaubten in den Speichern. Die Veränderungen nach dem 2. Weltkrieg und die Konkurrenzlage hat sich sicherlich in anderen Wirtschaftsbereichen noch schneller als in der Landwirtschaft vollzogen, aber auch hier beim Samenhandel ist man zu schmerzhaften Anpassungen gezwungen gewesen.

Der Vertrieb der Saatgut damals

Wie funktionierte nun bei den Bardowickern der Vertrieb des Saatgutes an die Kunden? Der Bericht von O. Brand gibt auch hierüber Auskunft. Sicherlich haben die Bardowicker sogenanntes loses Saatgut in Beuteln und Säcken bei sich gehabt, um beim Kunden zu verwiegen oder zu portionieren. Die meisten Aufträge wurden aber schriftlich notiert und diese Bestellungen erfuhren ihre Fertig- und Zusammenstellung in der Saatstube zu Hause in Bardowick.
Die Bedarfsmengen an Gemüse- und Kräutersamen für die bäuerlichen Kunden waren beträchtlich. Es wurden individuelle Gewichtspackungen hergestellt, beschriftet mit Menge, Sortenbezeichnung und später auch mit den vom Gesetz verlangten Daten. Für Kräutersamen, feine Gemüsesamen und Blumensamen wurden sogenannte Portionen hergestellt. Es waren Papier-/Flachbeutel, für die als Lieferant von den alten Bardowicker Samenhändlern die Firma Feldmann in Lüneburg genannt wird. In schlechten Zeiten, insbesondere nach den Kriegen, benutzte man auch eine sogenannte Bardowicker Prisentüte.

Fürdie Kenner des deutschen Samenhandels

Mehr als 400 Samenhändler aus Gönningen und ca. 100 Samenhändler aus Bardowick reisen mehrere Jahrhunderte zu ihren Kunden, bei den jährlich wiederkehrenden Gesprächen über das Geschäft und über Familiäres entstanden Beziehungen, die auch zu dauerhaften Verbindungen durch Heirat oder Filial-Gründungen führten, auch hierüber später weitere Einzelheiten.
Für alle deutschen Samenhändler und Hausierer gerieten die Geschäfte gegen Ende des 19. Jahrhunderts in große Gefahr, und wahrscheinlich hörten die Bardowicker von den „Kollegen“ in Gönningen in diesen Zeiten zum ersten Mal. Sicherlich wusste man schon früher voneinander durch Erzählungen der Reisenden der Großzüchter, die weit herumkamen, aber Beziehungen untereinander gab es nicht. Die Gefahr, die die Bardowicker und Gönninger zusammenführte, entstand im Januar 1895 mit der geplanten Änderung der Reichsgewerbeordnung, nach der das Verbot des Hausierhandels sich auch auf Sämereien erstrecken sollte. Etwa 600 Samenhändlerexistenzen waren in Gefahr, durch dieses Verbot ihre Geschäfte zu verlieren. Um trotz des geplanten Verbots des Hausierhandels in Deutschland eine Ausnahmeregelung für Saatgut zu erreichen, wurden die Gönninger und Bardowicker schriftlich durch Eingaben und durch mündliche Proteste aktiv. Auch die Bemühungen des Reichstagsabgeordneten Freiherr von Wangenheim und auch der Reichstagsabgeordneten Payer und Siegle waren in den Jahren 1895/96 sehr engagiert und umfangreich, um eine „Lex Bardowick“ und „Lex Gönningen“ zu erreichen.
Auch das Zusammenspiel der Samenhändler aus beiden Orten war wichtig, mit den gleichen starken Argumenten für die Qualität ihrer Saatgüter und auch mit dem Hinweis auf die Eigenproduktion einzutreten. Eine Petition aus Bardowick ging in Berlin rechtzeitig ein. Diese erreichte Regelung hatte Bestand bis etwa 1911, als Bemühungen bekannt wurden, diese Ausnahmeregelung aus der Gewerbeordnung von 1896 durch den Reichstag streichen zu lassen.
Dieser Entwurf und seine Begründungen hätten bedeutet, die „Lex-Gönningen“ und „Lex Bardowick“ wäre verloren gewesen und der Hausierhandel auch mit Sämereien verboten. Wie schon am 06.08.1896 zur Verabschiedung der Gewerbeordnung wurde von den Bardowickern wieder der Reichstagsabgeordnete Freiherr von Wangenheim in Anspruch genommen. Heinrich Meyer, Johann-Peter Kirchhoff und RathmannMaack (Letzterer mit Saatkiepe und Saatbauernkleidung) fuhren 1911 nach Berlin und kämpften gemeinsam mit Freiherr von Wangenheim um die Erhaltung der Ausnahmeregelung für Gemüse- und Blumensämereien.
Im Jahre 1913 war die Gefahr immer noch nicht gebannt und weiterhin bemühten sich die Bardowicker und Gönninger um die Erhaltung ihrer Verkaufs- und Hausierrechte. Wieder konnten die Bardowicker sehr wirksam vorbringen, dass ihr Verkaufssaatgut von ihnen selbst erzeugt wurde und von hoher Sortenechtheit und Keimfähigkeit ist und dass in Bardowick aufwendige Zuchtarbeit in neuen und alten Sorten geleistet wurde. Im Februar 1914 sollte im Plenum des Reichstags abgestimmt werden. Dann brach der 1. Weltkrieg aus und die Politiker in Berlin hatten größere und andere Sorgen und es kam nicht mehr zu einer Abstimmung.

Eine Chance für viele Bardowicker...

Die Gemüsespezialkulturen und ihre Vermarktung ermöglichten den Bardowickern einen weiteren Blick über die Fleckensgrenzen hinaus und machte sie auch in irgendeiner Art gewandter im Umgang mit Nichtortsansässigen.
Ob die Historie Bardowicks oder die große Bedeutung des Handelsumschlagplatzes für die Gebiete östlich Bardowicks, der Bardowicker Bille, der Dom oder die Mühle den Bardowicker Stolz entwickelt haben, das weiß man nicht. Festzustellen ist, dass die Bardowicker urwüchsig und unverwechselbar sind und viel fremdenfreundlicher als ihr Ruf. Die Saatreisenden aus Bardowick mussten aufgeschlossen und kontaktfreudig sein, über weltliche Dinge bestens informiert, um den Kunden immer wieder Neuigkeiten zu bringen und selbst Neuigkeiten zu erfahren. Die Fleckensgemeinde im Innern profitierte natürlich von diesen Reiseberichten ihrer Heimkehrer. Die Menschen in einer Gemeinde mit dieser Ausstrahlung werden selbstverständlich stark beeinflusst. Umgekehrt verhindert dieser Blick weit über die Fleckensgrenzen hinaus einen Stillstand und eine Rückständigkeit im Innern.
Vor 450 Jahren lebten viele Bardowicker sehr ärmlich. Das Land wurde von Großbauern bestellt und die Mehrzahl der Bevölkerung war abhängig beschäftigt. Der Samenhandel in Bardowick begann bei den sogenannten kleinen Leuten und konnte im Herbst und im Winter als Nebenbeschäftigung erledigt werden. Auf kleinen Samenträgerflaschen züchtete man selbst und eignete sich Kenntnisse der Pflegearbeiten, Samenernte, Reinigung und des Vertriebs an. Züchterische Selektionsarbeiten kamen hinzu und auch das Wissen der Befruchtung unterschiedlicher Gemüsearten zur Schaffung neuer Sorten und Selektionen. Die sogenannten kleinen Bauern benötigten diesen Nebenerwerb dringendst und einige von ihnen wurden durch gute Samengeschäfte selbst zu Großbauern.
Der Austausch von Saatgut und auch Saatstecklingen untereinander führte später zu Vereinsgründungen: Zum Beispiel des Saatbauvereins 1913 und später am 08.02.36 dann zur Gründung der Samenbaugenossenschaft Bardowick, die auch einen Zukauf von Saatgut als Einkaufsgemeinschaft organisierte, unter dem Firmennamen "Samenbaugenossenschaft Bardowick" -Eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftung.
Geschäftsführer waren:
Von 1936 bis 1956 Adolf Wolter, von 1956 bis 1973 Wilhelm Gehrke, von 1974 bis 1986 Ernst Blanquett und von 1986 bis 1990 Wilhelm Meyer. Ein Beratungsring wurde in Bardowick ebenfalls gegründet, der alljährlich auf einem großen Versuchsfeld vergleichende Sortenversuche auswertete und den Züchtern und den Bardowickern die Ergebnisse zur Verfügung stellte.

Der Vertrieb der Saatgut heute

Heute, im Jahr 1995, hat Bardowick seine besondere Bedeutung durch den Gemüseanbau für die Märkte in Hamburg, Berlin, Bremen und Hannover, die von den Bardowickern mit eigenen Fahrzeugen beliefert werden. Ebenfalls sehr bedeutend ist der Absatz auf vielen kleinen Märkten der Großumgebung von Bardowick. Auf vielen Wochenmärkten in Hamburg, Lüneburg, Uelzen, Geesthacht, Lauenburg, Verden, Schwarzenbek, Rahlstedt u.a. stehen Bardowicker Gemüsebauern mit ihren sehr großen und schmucken Ständen und verkaufen ihr frisches Gemüse, Jungpflanzen und auch Saatgut.
Die Bardowicker Gemüsebauern haben viel Land hinzugepachtet bis an die Elbe in den Landkreisen Lüneburg, Harburg, Lüchow-Dannenberg und Uelzen. Wer sich im Landkreis Lüneburg als Bardowicker ausweist, erlebt die unterschiedlichsten Reaktionen. Auf dem Lande kennt jeder mehrere Bardowicker, meistens aus freundschaftlichen, geschäftlichen Verbindungen. Da haben das gute Saatgut und das Gemüse entscheidenden Anteil sowie der alljährliche Klönschnack bei den Geschäften. In den kleineren und größeren Städten Niedersachsens weiß man vom großen Dom und auch von der Bedeutung Bardowicks und seiner Zerstörung durch Heinrich den Löwen.
In Hamburg schätzt man das frische Gemüse aus Bardowick und weiß evtl. auch etwas vom BardowickerZippelhaus. Außerdem weiß man, dass die Bardowicker preis- und qualitätsbewusst sind. Der Flecken Bardowick stellt sich nach außen wie eine sehr geschlossene Gemeinschaft dar und es muss früher nicht leicht gewesen sein, einem Bardowicker Mädchen den Hof zu machen. Bei Tanzveranstaltungen sollen insbesondere Lüneburger Freier in Schwierigkeiten gekommen sein und eine Tracht Prügel an der Landwehr wurde schon mal riskiert, wenn die Jungbauern aus Bardowick einschritten.
Bardowick ist 450 Jahre lang durch den Gemüsebau und den Samenhandel geprägt worden. Die Bardowicker sind etwas anders als die Dorfbewohner anderer Bezirke, die einer normalen landwirtschaftlichen oder gewerblichen Tätigkeit nachgehen.

Eine neue Generation

Die Weitergabe der Saatgutgeschäfte an die nächsten Generationen hat deswegen immer wieder funktioniert, weil der Bedarf an Saatgut jedes Frühjahr sich „Gott sei Dank“ immer wieder neu einstellt. In schlechten Zeiten war der Bedarf immer ein wenig größer als im Vorjahr und in besseren Zeiten war der Bedarf auch nicht schlecht.
Welcher junge Samenhändler konnte sich dieser Einsicht verschließen – deshalb kamen die Bardowicker Samenhändler alljährlich wieder – seit 450 Jahren.